Kurze Zusammenfassung
Frauen-Fussball-EM 2025, die Begegnung mit einem Olympia-Sieger und Künstlerfotografen, ein malender Profi-Eishockey-Spieler auf art24: der Blog zu “Sport und Kunst” war geboren!
Sport und Kunst – Gegensätze oder harmonische Teamplayer?
Immerhin: einige Meter rollte es - Jean Tinguelys spektakuläres Maschinen-Ungetüm Klamauk von 1979. Als Kulturbotschafter begleitete Klamauk am 2.7.2025 lärmend und ratternd Hunderte von Fans und fussballbegeisterte Menschen auf seinem kleinen Weg zum Eröffnungsspiel der Frauen Fussball-EM im Basler Stadion. Dieses friedliche Miteinander von Kunst und Sportanlass, zudem eine kurz davor erfolgte persönliche Begegnung mit dem Künstler Iouri Podladtchikov, der 2014 in Sotchi Olympia-Sieger im Snowboarden für die Schweiz wurde und die Tatsache, dass EVZ-Eishockeyspieler Dominik Schlumpf, zugleich ein höchst spannender Bildender Künstler, seine Kunstwerke auf art24 präsentiert und verkauft, weckten in mir als «mässig-sportbegeisterte» Kunsthistorikerin erst recht meine Neugier: Sind diese erwähnten Verknüpfungen von Sport und Kunst eher Zufälle? Oder gibt es tiefgehende Verbindungen, Überschneidungen, Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Disziplinen? Kommt es häufiger vor, dass Spitzen-Sportler:innen professionell Kunst machen? Und was können die beiden Gebiete voneinander lernen? So viel sei bereits verraten: Der Weg zur Beantwortung meiner Fragen wurde zur spannenden Entdeckungstour, die mich eines lehrte: beide Bereiche sind mehr miteinander verbunden als vermutet.
Sportliche Athleten der Antike – verewigt in Kunstwerken
Den Olympischen Spielen der Antike sei Dank: durch sie wurden Wettkämpfe und talentierte männliche Sportler-Helden in Bronzeplastiken, auf Amphoren oder Vasen verewigt, die zugleich als Trophäen dienten. Ob Läufer, Fünfkämpfer, Ring- oder Faustkämpfer – zeigten sie herausragende Leistungen, verewigten (auch namentlich bekannte) Künstler, etwa der athenische Maler und spätere Töpfer Euphronios, die Sportler in einzigartigen Dokumenten. Noch heute führen uns diese Werke die enge Verbundenheit zwischen Kunstschaffen und zu feiernden Leistungen im Sportbereich als damalige Männerdomäne lebendig vor Augen, wie die sich auf den Wettkampf vorbereitenden Athleten auf dem attischen Kelchkrater dokumentieren:

Doch nicht nur der Wettkampf war den Kunstschaffenden eine Wiedergabe wert. Auch die nach sportlicher Betätigung sorgfältig durchgeführte Reinigung und Körperpflege mit sogenannten Schabern auf der Weinkanne im Antikenmuseum Basel spiegelt wider, dass Sport, Muskelaufbau und ein durchtrainierter Körper eine zentrale Rolle hauptsächlich im Leben von Jungen und Männern spielten.

© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig.
Sportliche Themen und Motive in der Kunstgeschichte
Dieser kleine Einblick in antike Darstellungen sportlicher Aktivitäten macht Lust die Kunstgeschichte nach weiteren Motiven und Themen rund um den Sport zu durchstöbern. Aus der überraschend unübersichtlichen Menge an Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen oder Fotografien usf. wählte ich per Zufall einige Werke aus, die das Thema je nach kunstgeschichtlichem, gesellschaftlichem oder kulturellem Kontext unterschiedlich präsentieren. Und mir wurde bewusst: dies ist nur die Spitze eines gigantischen, uralten Eisbergs...
Wer hätte das gedacht: das uns heute vertraute Tennisspiel etwa hatte einst seinen Ursprung hinter Klostermauern. Dort kannten die Ordensleute seit dem 12. Jahrhundert Ballspiele. Später verbreiteten Klosterschüler zunächst in Paris die neue, vor allem für Männer bis 50 (!) als gesundheitsfördernd angesehene Sportart bis in die Adelsschicht hinein, bei der direkt die Hand den Schlag ausführte. In der Folgezeit führte dies sogar zu einer neuen architektonischen Form, wie das nachfolgende Blatt zeigt: zum Ballhaus.

Dass dem Adel weitere sportliche Aktivitäten wie Fechten, Reiten, Jagen oder Tanzen vorbehalten waren, möge an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden. Das unermessliche Bildmaterial hierzu spricht Bände!
Im Volk hingegen waren Ringen, Schwingen, Steinstossen oder Wettbewerbe im Laufen beliebt. Später im 18., vor allem im 19. Jahrhundert kamen Rudern und Kanusport hinzu, die ausgehend von England, zunehmend populärer auf dem europäischen Kontinent wurden. Und nicht zu vergessen: natürlich das Fussballspiel. Auch wenn dessen Wurzeln vor über drei Jahrtausenden für verschiedene Länder nachgewiesen werden konnten, war es schliesslich England, das in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Mutterland des modernen Fussballspiels gleichermassen für Frauen wie Männer erkoren wurde. Wie selbstverständlich dies war, beweist eine Skizze vom ersten offiziellen Spiel des British Ladies Football Club mit Kapitänin Miss Netty Honeyball im Vordergrund, veröffentlicht im The Daily Graphic vom März 1895. Das dynamische Agieren der Frauen vor dem gegnerischen Tor ist eindrucksvoll festgehalten. In Anbetracht der Bekleidung können wir heutzutage froh sein, dass sich im Laufe der Zeit die Mode spielgerecht gewandelt hat.

In seiner typisch naiven Malweise, die sich von korrekten Grössenverhältnissen und Perspektiven distanziert, malte der französische Maler Henri Rousseau (1844-1910) im Jahr 1908 Les Joueurs de Football. Die vier, mit bunt gestreiften, kurzhosigen Sportanzügen bekleideten Männer agieren fröhlich hüpfend auf einem von Bäumen eingesäumten Spielfeld unter überwiegend blauem Himmel. Dabei lässt die Ballführung bei erhobenen Armen weniger an ein Fussballspiel denken. Vermutlich bezog sich Rousseau auf das erste internationale Rugbyspiel zwischen Frankreich und England in Paris 1908, das ihn offensichtlich begeistert hatte.

Rousseau war nicht der Einzige, den Spiele mit einem Ball faszinierten. Um nur einige weitere aufzuzählen: Künstler:innen wie etwa Salvador Dalí (1904-1989) und dessen Silbermedaillen-Serie zur Fussball-Weltmeisterschaft in Spanien 1982, Nicolas de Staël (1914-1955) und seine Serie Les Footballeurs (Paris 1952) oder die österreichische Künstlerin Maria Lassnig (1919-2014) und ihre sogenannten Fussballbilder, mit denen sie “einen ironisch konnotierten Exkurs” in eine sportliche „Männerdomäne“ unternimmt sind einzigartige Zeitdokumente, die die jeweiligen künstlerischen Standpunkte und Vorstellungen reflektieren.
Diese Reihe an sportlichen Motiven und Themen liesse sich beliebig auch im zeitgenössischen Kunstschaffen fortsetzen, etwa bei Andy Warhols Porträts von berühmten Sportlern wie Fussball-Legende Pelé oder Boxchampion Muhammad Ali, die im Auftrag des enthusiastischen Sportfans und Investmentbankers Richard Weisman entstanden waren . Dabei stellte sich mir die Frage, ob sich künstlerische Standpunkte und/ oder Ideen verändern (können), wenn sich Freundschaften zwischen Kunstschaffenden und Sportausübenden entwickeln? Kehren wir nochmals zu Klamauk zurück.
Kunst- und Sport-Freundschaften
Der künstlerische Schöpfer von Klamauk, Jean Tinguely (1925-1991), war mit Formel-1- Rennfahrer Jo Siffert (1936-1971) befreundet und verpasste als glühender Formel-1-Fan kein Rennen. Zehn Jahre nach Sifferts tödlichem Unfall auf der Rennstrecke im englischen Brands Hatch organisierte Tinguely, selbst ein begeisterter Ferrari-Sammler, eine Gedenkfeier am Bergrennen St-Ursanne-Les Rangiers, an der er mit der apokalyptisch anmutenden Klamauk-Traktor-Maschine teilnahm. Sie, wie viele weitere Werke, versinnbildlichen Tinguelys lebenslange Leidenschaft für Bewegung, Mechanik, Geschwindigkeit unter Einbezug von Autoteilen, Metall, Schrott und Alltagsobjekten, die auf provokative wie ironisch-humorvolle Art Kritik an Gesellschaft und Konsumkultur nehmen. Es ist offensichtlich, dass die tiefgehende Freundschaft zwischen Siffert und Tinguely einen nachhaltigen Einfluss auf den Künstler hatte: Sifferts Begeisterung für Maschinen und Geschwindigkeit und die Ästhetik und Dynamik des Rennsports waren wichtige Inspirationsquellen für Tinguelys Schaffen. Im schweizerischen Freiburg erinnert noch heute der Jo-Siffert-Brunnen von 1984 an diese über den Tod hinausgehende Freundschaft zwischen Künstler und Formel-1-Piloten.

Speziell gestaltete sich auch folgende Freundschaft zwischen den dadaistischen Künstlern Marcel Duchamp (1887-1968) und Man Ray (1890-1976) durch ihre lebenslange Leidenschaft zum Schachspiel. Neben herausragend geführten Spielzügen von Duchamp, der gar an Schacholympiaden mit der französischen Nationalmannschaft (u.a. 1928, 1930, 1931, 1933) auftrat und sich durch Schach als eine Form der Kunst inspirieren liess. Duchamp war sich sicher: "Nicht jeder Künstler kann Schach spielen, aber alle Schachspieler sind Künstler." Ray hingegen war die praxisbezogene Person, die Schachspiele und Figuren kreierte. Spannend wie sich durch dieses Beispiel Kunst und Sport durchdringen und überschneiden.
Ob Schach- oder Ballspiel, Boxen, Ringen, Radrennen usf. – all diese Sportdisziplinen, insofern sie ernst und professionell ausgeübt werden, fordern ihren Tribut durch Disziplin, Kreativität, Ausdauer, durch ein immerwährendes Dranbleiben und Setzen von Zielen, Üben und Verbessern, gerade auch in Zeiten von Niederlagen, Enttäuschungen, Entbehrungen. Diese Eigenschaften kennen insofern auch dann Kunstschaffende, wenn sie sich durch eine ernst gemeinte Kreativität individuelle Ziele für Erfolg und Anerkennung setzen. Den künstlerischen wie sportlichen Olymp erklimmen erfordert seinen Preis mit Fleiss.
Marcel Duchamps doppelte Leidenschaft für Kunst einerseits und das sportlich auf offiziellen Wettkämpfen ausgeübte Schachspiel anderseits birgt bereits eine weitere Frage: gibt es unter Profi-Sportler:innen auch Künstler:innen, die in dieser Disziplin ebenso erfolgreich unterwegs waren respektive sind, wie zu Zeiten ihrer Sportler-Karriere?
Sportler:innen als Künstler:innen
Mit den eingangs erwähnten Dominik Schlumpf (1991) als Profi-EVZ-Eishockey-Spieler und zugleich erfolgreicher Künstler sowie Olympia-Snowboarder und ausgebildeter Künstlerfotograf Iouri Podladtchikov (*1988) wäre die Frage schon einmal beantwortet. Der Blick in weitere Sport-Karrieren offenbart allerdings Erstaunliches und führt zu den sogenannten olympischen Künstler:innen: Der Speerwerfer mehrfacher Rekordhalter Roald Bradstock (*1962) erhielt gar den Spitznamen Der olympische Picasso (2018).

Er gewann 2000 nicht nur den Sportkunstwettbewerb mit dem Gemälde Struggle for Perfection und war Gründungsmitglied für Art of the Olympians (2006), sondern veröffentlichte im Jahr darauf zahlreiche humorvolle Videos zu Sport und Kunst auf YouTube unter roald62. Seine Teilnahme mit 15 Gemälden am 1. Olympischen Kunstprojekt 2018 im südkoreanischen PyeongChang als einer von vier olympischen Künstlern liessen ihn weltberühmt werden. Als die World Olympians Association im September 2018 die Gründung eines Kunstkomitees verkündete, erhielt Bradstock die Ernennung zum Vorsitzenden.
In Lanny Barnes (*1982) vereinigen sich seit ihrer Kindheit zwei Welten: die des Sports im Bereich Biathlon und ihren Vorbereitungen für Olympischen Spiele und die des Malens und Zeichnens. Auf diesem Gebiet sind es vor allem Tiere und Stillleben, die sie trotz anspruchsvollen Trainings pflegt und weiterentwickelt. Ihre Vision: die Eröffnung einer eigenen Galerie und den Ausbau ihrer künstlerischen Karriere. Dieses Ziel bereits geschafft hat der im schweizerischen Sion geborene Jean-Blaise Evéquoz (*1953): Nach dem Gewinn der Bronze im Fechten in Montreal 1976 vertiefte er seine Leidenschaft für die Malerei an der Académie des Beaux-Arts in Florenz (1978-1983) und nimmt seit dieser Zeit an nationalen wie internationalen Ausstellungen teil. Nach seinem ersten Atelier zwischen 1982 bis 1989 in Florenz übersiedelte Evéquoz nach Sion und widmet sich seitdem seiner emotionalen Kunst, die sich durch kräftige Farben und motivische Einfachheit auszeichnet.

Neben der beeindruckenden sportlichen Karriere des französischen Handballers, dreifachen Europameisters und Weltmeisters sowie dreifachen Gold-Olympiamedaillengewinners Luc Abalo (*1984) offenbart sich eine tiefe Leidenschaft zur Malerei, die er seit seinem Studium an der LISAA School of Arts (Höheres Institut für angewandte Kunst) intensiviert. Über 15 Jahre lang nahmen Sport und Fussball zu 100 Prozent bei Josephine Henning (*1989), der ehemaligen Fussball-Nationalspielerin und Goldgewinnerin an den Olympischen Spielen in Rio 2016 ein: “Die Kunst”, so Henning auf ihrer Website, “hat immer nebenher alles andere ausgefüllt. Hätte ich das nicht gehabt, wäre ich sehr unausgeglichen gewesen.” Dann mit 28 Jahren änderte sich ihre Einstellung und sie macht nun parallel zu ihrer Tätigkeit als Kuratoriumsmitglied der DFB-Kulturstiftung zu 100 Prozent Kunst.
Ohne Fleiss keinen Preis?
Dieses altbekannte Sprichwort mag nerven. Doch trifft es in seiner Kernaussage für den Sport- wie Kunstbereich zu, wie folgendes Beispiel zeigt: die ehemalige Tennisspielerin Eliska Klinkenberg war seit dem Alter von vier Jahren auf diese Disziplin fixiert. Aufgrund einer schwerwiegenden Verletzung schaffte sie es nicht an die Weltspitze. Nach der Umorientierung halfen ihr Eigenschaften wie Fokussieren und Trainieren, die sie mittlerweile in ihrer zweiten Leidenschaft der Kunst, zielstrebig, intensiv, immer mit Freude einsetzt: «Das beste Beispiel, künstlerisch tätig zu sein, ohne den klassischen Weg zu beschreiten, bin ich selbst. Die Frage begegnet mir oft. Ich werde gefragt, wo ich denn studiert habe oder welchen künstlerischen Background ich mitbringe. (...) Das ist auch das Faszinierende an der Kunst. Sie wartet überall auf dich, überall kannst du sie finden und kannst sie dann neu verarbeiten.» (Zitat auf ihrer Website)

Visionen
Ob autodidaktisch oder akademisch ausgebildete Künstler:innen: sie kennen die Hürden, die ermüdenden Strecken von Anfragen, Vermarktungs- und Verkaufsstrategien, den langen Atem, den Durchhaltewillen, die Trainingseinheiten vor der Staffelei, die es tagtäglich braucht, um Anerkennung zu erhalten, wahrgenommen zu werden, Erfolge und Auszeichnungen feiern zu können. Leiht Euch für diese Visionen sportliche Eigenschaften und Ambitionen aus und trainiert den Bereich, der Euch erfüllt.
Meine Vision: mögen Gedanken aus diesem Blog den Kunstschaffenden auf ihrem individuellen Weg Mut machen und sie auf ihre Weise zu künstlerischen Athleten und Athletinnen werden lassen. Und dass sie durch ihre Kreativität, Neugierde und Experimentierlust Vorbilder für Sportler:innen werden mögen!
Tipps zu aktuellen Ausstellungen rund ums Thema Kunst und Sport (Auswahl)
“She can kick it”. Frauenfussball und Fotografie im f³ – freiraum für fotografie in Berlin (bis 07.09.2025)
Sport und Freizeit in Werken der Sammlung Würth, Forum Würth Rorschach (bis 14.02.2027):
Deutsches Sport & Olympia Museum Köln
Weiterführende Literatur:
https://sport-geschichte.de/tiedemann/documents/VortragLorient2007Deutsch.pdf
https://www.kunstforum.de/artikel/kunst-und-sport/
https://www.lehmanns.ch/shop/kunst-musik-theater/5776105-9783631509395-kunst-und-sport
https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauen-bewegung
https://frauenmuseum.de/produkt/frauen-bei-olympia-2008/
Manuel Neukirchner (Hrsg.): In Motion. Kunst und Fußball, Deutscher Kunstverlag, 2024: https://biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783422801349/HerausgegebenNeukirchner-Manuel/In-Motion
Autor:in: Martina Kral