Kurze Zusammenfassung
🎨 Die Entwicklung der bildenden Kunst in Marokko: Tradition & Moderne im Dialog
Von der filigranen islamischen Kunst und der symbolreichen Berber-Ästhetik über die Einflüsse des Orientalismus und der französischen Kolonialzeit bis hin zu modernen marokkanischen Künstler:innen – Marokko hat eine faszinierende Kunstgeschichte. Erfahre, wie Künstler wie Eugène Delacroix, Henri Matisse und Francis Bacon von Marokko inspiriert wurden und wie marokkanische Künstler die internationale Kunstszene prägten.
➡️ Entdecke die kulturellen Strömungen, ikonischen Werke und den künstlerischen Austausch zwischen Marokko und Europa!
🖼️Die Entwicklung der bildenden Kunst in Marokko
📜 Vor dem 20. Jahrhundert – Traditionelle Kunst
Die Kunst Marokkos war über Jahrhunderte hinweg stark von den verschiedenen kulturellen Strömungen und Traditionen geprägt, die das Land beeinflussten. Zu den wichtigsten Einflüssen gehörten die islamische und die berberische Kultur, die in ihren jeweiligen Formen der Kunst und Architektur tiefe Spuren hinterliessen.
🟢 Islamische Kunst:
Die islamische Kunst Marokkos zeichnet sich durch eine hohe Raffinesse in der Anwendung von Kalligrafie, die nicht nur als Schriftkunst, sondern auch als ein ästhetisches Gestaltungselement in der Architektur verwendet wurde, aus. Besonders berühmt sind die kunstvollen Mosaike, Zellij genannt, welche geometrische Muster und florale Ornamente darstellen. Diese Mosaiken schmückten sowohl öffentliche als auch private Räume und sind bis heute ein Markenzeichen der marokkanischen Architektur. Auch die Holz- und Stuckarbeiten, die in Moscheen und Palästen zu finden sind, sowie die keramischen Werke, die von kunstvollen Kannen bis hin zu kunstvollen Fliesen reichen, zeugen von der hohen Fertigungskunst dieser Epoche.



🟢Berber-Kunst:
Die Amazigh (Berber)-Kultur brachte eine eigenständige visuelle Sprache hervor, die vor allem in Textilien, Schmuck und Körperverzierungen sichtbar wurde. Die berühmtesten Beispiele sind die handgewebten Teppiche, die nicht nur funktionale Objekte waren, sondern auch als Ausdruck kultureller und sozialer Identität dienten. Berber-Kunst zeichnet sich durch markante Muster und Symboliken aus, die tief in der spirituellen und alltäglichen Welt der Berber verankert sind. Auch Körperverzierungen, insbesondere Tattoos, sind ein bedeutender Teil der Tradition, die oft als Schutzsymbole oder zur Markierung von Lebensphasen dienten.

🎨1912–1956 – Koloniale Einflüsse
Der Einfluss von Marokko auf die Kunst in Frankreich zeigt sich auf verschiedene Arten, insbesondere im Bereich der Moderne. Künstlerinnen und Künstler, die aus Frankreich stammten oder in Frankreich lebten, suchten Inspiration in der marokkanischen Kultur und deren Charme. Dieser Einfluss war in mehreren künstlerischen Bewegungen deutlich spürbar:
Eugène Delacroix und Marokko
Delacroix reiste 1832 nach Marokko als Teil einer diplomatischen Mission von König Louis-Philippe. Während seines Aufenthalts in Tanger, Meknès und anderen marokkanischen Städten war er fasziniert von der Farbenpracht, der Architektur und den Menschen. Er fertigte zahlreiche Skizzen und Aquarelle an, die später als Grundlage für seine berühmten Gemälde dienten.
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich begann Delacroix, marokkanische Motive in seine Kunst zu integrieren. Einige seiner bekanntesten Werke, die von dieser Reise inspiriert wurden, sind:
· "Der Sultan von Marokko" (1845) – Dieses Werk zeigt den Sultan Mulai Abd ar-Rahman auf seinem Pferd, umgeben von seinem Gefolge. Delacroix stellte ihn mit großem Respekt und Detailreichtum dar, was seine Faszination für die marokkanische Kultur unterstreicht. Zu sehen in der Emil Bührle Sammlung, Zürich.
· "Marokkanische Kavalkade" (1832–1837) – Eine Darstellung marokkanischer Reiter, die Delacroix in Tanger beobachtet hatte. Er war besonders von der Dynamik und Eleganz der marokkanischen Reitkunst fasziniert.
Delacroix’ Werke waren ein wichtiger Ausgangspunkt für den Orientalismus, eine Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts, den der Kolonialismus mit sich brachte, in der europäische Künstler:innen “exotische” Motive aus Nordafrika und dem Nahen Osten darstellten. Sein Einfluss reichte bis zu Henri Matisse, der etwa 80 Jahre später nach Marokko reiste und dort von den Farben und Formen inspiriert wurde.


Henri Matisse und Marokko
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reiste Henri Matisse nach Marokko. Dieses Land, mit seiner einzigartigen Landschaft, Architektur und Kultur, bot Matisse neue Perspektiven und prägte seinen Umgang mit Farbe und Form. Besonders die kräftigen Farben, das intensive Licht und die ornamentale Gestaltung, die er in Städten wie Tanger erlebte, beeinflussten seinen Stil nachhaltig. In seinen Werken aus dieser Zeit, darunter "(Acanthes) Paysage marocain" (1912), “Zorah sur la terrasse “ (1912), oder ”Porte de la Casbah” (1912) experimentierte er mit leuchtenden, kontrastreichen Farbfeldern und vereinfachten Formen, die für den Fauvismus typisch sind. Die Reise nach Marokko bestärkte Matisse in seiner Hinwendung zu reinen, expressiven Farben, die sein späteres Werk weiterhin prägten.



Orientalismus und dokumentarische Malerei
Weitere westliche Künstler:innen, darunter Jacques Majorelle und Ch. A. Mangin, stellten Marokko und den Orient oft in einer idealisierten oder dokumentarischen Weise dar. Während Majorelle mit leuchtenden Farben die besondere Schönheit des Landes hervorhob, war Mangins Ansatz durch eine besondere Ruhe und Zeitlosigkeit geprägt.
Mangin reiste 1934 durch Nordafrika und malte Städte und Gärten in Akka, Freyja, Marrakesch, Tiznit und Meknès. Seine Werke sind von erdigen Farbtönen, einem charakteristischen Blau und einem bewussten Einsatz von Pinselstrichen und Spachtelzügen geprägt. Besonders auffällig ist seine Darstellung menschenleerer Straßen und Gassen oder kleiner Figurengruppen in harmonischer Farbgebung.
Mangins Werke sind nicht nur künstlerische Darstellungen, sondern auch wertvolle Zeitdokumente, die ein Marokko vor den großen Veränderungen der Kolonialzeit zeigen. Seine Bilder vermitteln eine Atmosphäre der Stille und Weite, wodurch sie sich von den oft überladenen, romantisierenden Darstellungen vieler Orientalisten abheben.



Die Flucht des Surrealisten Breton nach Marokko (1941)
Auch Surrealisten fanden ihren Weg nach Marokko.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Frankreich 1940 von Nazi-Deutschland besetzt. Breton, als führender Surrealist und erklärter Antifaschist, wurde von der Vichy-Regierung verfolgt und musste das Land verlassen. Gemeinsam mit anderen Künstlern und Intellektuellen wie Max Ernst, Victor Brauner, Wifredo Lam, André Masson und dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss floh er nach Südfrankreich und schließlich nach Marokko.
Casablanca war während des 2. Weltkrieges ein bedeutender Zufluchtsort für europäische Künstler. Es war eine der letzten Stationen für jene, die nach Amerika emigrieren wollten, da von dort aus Schiffe in die USA ablegten. Die Stadt entwickelte sich für einige Monate zu einem Zentrum der surrealistischen Bewegung im Exil, da sich viele Künstler dort aufhielten. Breton, Ernst und andere surrealistische Denker führten in dieser Zeit intensive Diskussionen über Kunst, Politik und das Unbewusste.
Während seines Aufenthalts in Marokko schrieb Breton „Fata Morgana“ (1941), eine surrealistische Dichtung, die unter dem Eindruck der Unsicherheit des Exils entstand. Das Werk verbindet Traum und Realität, typisch für den Surrealismus, und reflektiert die politische und existenzielle Krise seiner Zeit. Die marokkanische Umgebung – das intensive Licht, die Wüste und die Atmosphäre der Stadt Casablanca – dürfte seinen Schreibstil beeinflusst haben.
Francis Bacon in Tanger (1950er Jahre)
Francis Bacon, einer der bedeutendsten britischen Maler des 20. Jahrhunderts, verbrachte in den 1950er Jahren mehrere längere Aufenthalte in Tanger. Damals war Tanger eine internationale Zone, die viele Künstler, Schriftsteller und Exzentriker anzog.
Warum war Bacon in Tanger? Flucht vor Konventionen: Tanger war in den 1950ern bekannt für seine lockere Gesellschaftsstruktur, in der sich Aussenseiter:innen, Künstler:innen und Intellektuelle frei bewegen konnten. Bacon, der offen homosexuell war, fühlte sich dort wohler als im prüden Großbritannien dieser Zeit. Tanger wurde zu einem Treffpunkt für Künstler:innen und Schriftsteller:innen, darunter Paul Bowles, William S. Burroughs und Jean Genet. Bacon bewegte sich in diesen Kreisen und verbrachte Zeit mit wohlhabenden Freunden und Liebhabern. Es gibt wenige explizite Bezüge zu Marokko in Bacons Bildern, aber seine Zeit in Tanger könnte seine spätere Farbgebung beeinflusst haben. Einige seiner Werke aus den späten 1950ern zeigen eine ungewöhnlich warme Farbpalette, was möglicherweise auf die intensiven Licht- und Schattenverhältnisse in Tanger zurückzuführen ist. Mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956 änderte sich auch Tanger. Es verlor langsam seinen Status als internationale Enklave. Bacon verliess diesen Ort und zog schliesslich zurück nach Paris und London, wo er seine großen Werke der 1960er und 1970er Jahre schuf.
Marokkanische Künstlerinnen und Künstler in Frankreich



Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einfluss von marokkanischen Künstlerinnen und Künstler auf die französische Kunstszene. Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 zogen viele Künstler:innen und Intellektuelle nach Frankreich, um ihre Arbeiten zu präsentieren und sich in die europäische Kunstwelt einzubringen. Marokkanische Maler, wie Ahmed Cherkaoui und Farid Belkahia, beeinflussten die französische Kunstszene durch die Integration traditioneller marokkanischer Kunsttechniken mit modernen europäischen Stilen. Folgende Einflüsse sind nachzuweisen:
🔵 Die Nouvelle École de Paris (Nachkriegsavantgarde)
- In den 1950er und 1960er Jahren wurde Paris zu einem Schmelztiegel für Künstler aus der ganzen Welt. Die Werke von Cherkaoui und Belkahia fanden dort grosse Beachtung und beeinflussten die Künstler:innen der Nouvelle École de Paris, einer Gruppe, die sich von der klassischen westlichen Malerei abwandte und verstärkt außereuropäische Einflüsse integrierte.
- Ihr experimenteller Umgang mit Materialien (Belkahia verwendete Leder statt Leinwand) und die Verbindung von Abstraktion mit kultureller Identität inspirierten Künstler wie Pierre Soulages, der selbst für seine minimalistischen, fast kalligrafischen Arbeiten bekannt wurde.
🔵 Französische abstrakte Malerei & Informel
- Hans Hartung und Jean Dubuffet, die sich mit spontaner, roh wirkender Malerei beschäftigten, waren von Cherkaouis Zeichen- und Schriftzeichen-inspirierten Kompositionen beeindruckt.
- Dubuffet, der die "Art Brut" (rohe, unakademische Kunst) förderte, sah in der Symbolik Cherkaouis eine authentische Ausdrucksform, die sich von der traditionellen westlichen Kunstgeschichte löste.
🔵 Postkoloniale und Identitätskunst
- Zineb Sedira und andere französisch-algerische Künstler:innen der 1990er Jahre wurden von Belkahias Ansatz inspiriert, sich mit kolonialen und kulturellen Identitäten in der Kunst auseinanderzusetzen.
- Belkahias Betonung von handwerklichen Traditionen als Kunstform half, das Bewusstsein für nicht-westliche künstlerische Techniken in Europa zu schärfen.
🔵 Afrikanische und arabische Moderne
- Cherkaoui und Belkahia ebneten den Weg für spätere Künstler:innen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, die ebenfalls zwischen europäischer und arabischer Kunst navigierten, darunter Mohammed Melehi und Chaïbia Talal.
- Ihre Werke inspirierten Künstler:innen aus Algerien, Tunesien und Libanon, die ebenfalls begannen, traditionelle Motive in eine moderne Formsprache zu übersetzen.
Westliche, akademische Malerei in Marokko
Während der französischen und spanischen Fremdherrschaft in Marokko nahmen wiederum europäische Maltechniken Einfluss auf die lokale Kunstszene. Einige marokkanische Künstler:innen begannen, an westlichen Kunstakademien zu studieren, kehrten jedoch oft mit einer Mischung aus traditionellen und westlichen Stilen zurück. Dies führte zu einer einzigartigen Synthese von europäischen Maltechniken und marokkanischen Motiven. Gleichzeitig bildeten sich in den 1920er Jahren Künstlergruppen wie die Rabat-Gruppe, die von Künstlern wie Ahmed Ben Driss El Yacoubi und Mohamed Ben Ali R'bati (Vater der marokkanischen Malerei) geprägt wurde. Diese Gruppe legte den Grundstein für die moderne marokkanische Kunst, indem sie traditionelle marokkanische Elemente mit westlichen Einflüssen vereinte und so den Weg für die Entwicklung einer eigenen modernen Kunstsprache ebnete.
🚀1960er–1980er – Moderne & nationale Identität
Mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956 entwickelte sich ein neues künstlerisches Selbstverständnis, das eine nationale Identität betonte und versuchte, sich von den kolonialen Einflüssen zu befreien. Kunst wurde zunehmend als Ausdruck der marokkanischen Kultur und Geschichte genutzt.
🟠Casablanca Art School:
Künstler wie Farid Belkahia, Mohammed Melehi und Mohamed Chabâa gehörten zu einer neuen Generation von Künstlern und Künstlerinnen, die in Casablanca eine künstlerische Schule bildeten. Diese Künstlerinnen und Künstler kreierten abstrakte und geometrische Werke, die oft von traditionellen Berber-Motiven inspiriert waren. Gleichzeitig nahmen sie Einflüsse aus der internationalen Moderne auf, wodurch eine neue, eigenständige Ästhetik entstand.




🟠Symbolismus und Volkskunst:
In dieser Zeit begannen Künstler wie Ahmed Cherkaoui, traditionelle Symbole und Motive mit modernen Kunstformen zu verbinden. Cherkaoui beispielsweise arbeitete mit Symbolen aus der Berber-Kultur und kombinierte sie mit abstrakten Maltechniken, um eine tiefere kulturelle Bedeutung zu vermitteln.
🟠Naive Kunst:
Chaibia Talal, eine der bekanntesten autodidaktischen Künstlerinnen Marokkos, entwickelte eine farbenfrohe und expressive naive Malweise. Ihre Werke, die oft von feministischen und sozialen Themen durchzogen sind, verschafften ihr internationale Anerkennung und trugen dazu bei, dass die marokkanische Kunstszene weltweit wahrgenommen wurde.


🌍 Ab 1990er – Zeitgenössische Kunst
Mit dem Aufkommen der Globalisierung und der zunehmenden Vernetzung der Kunstwelt begann die marokkanische Kunstszene, sich stärker in internationalen Kontexten zu präsentieren und neue Ausdrucksformen zu entwickeln.
🔴 Internationale Vernetzung: Künstler:innen wie Hassan Hajjaj, Mohamed El Mahdi Haydar, Yto Barrada und die bereits erwähnte Chaibia Talal wurden auf internationaler Ebene bekannt und nahmen an bedeutenden Ausstellungen und Biennalen teil. Ihre Arbeiten setzen sich zunehmend mit globalen Themen auseinander und bieten einen Dialog zwischen marokkanischer Kultur und der Weltbühne der Kunst.
🔴 Neue Medien: In den 1990er Jahren gewannen neue Medien wie Fotografie, Video, Installationen und Street Art in Marokko an Bedeutung. Diese Kunstformen ermöglichten es den Künstler:innen, soziale, politische und kulturelle Themen auf innovative und unkonventionelle Weise zu behandeln. Insbesondere die Street Art-Szene erlebte einen Boom, wobei Künstlerinnen und Künstler begannen, städtische Räume als Leinwände für ihre Werke zu nutzen.
🔴 Kunstfestivals: Internationale Plattformen wie die Marrakech Biennale (seit 2005) und das Asilah Arts Festival haben den Dialog zwischen marokkanischer und internationaler Kunst weiter gefördert. Diese Festivals sind nicht nur wichtige Veranstaltungen für die Kunstszene, sondern auch für die Förderung des kulturellen Austauschs und die Präsentation von zeitgenössischen künstlerischen Perspektiven.
🔴 Gesellschaftliche Themen: Viele Künstler:innen der zeitgenössischen Kunstszene in Marokko setzen sich intensiv mit gesellschaftlichen Themen auseinander. Migration, Identität, Kolonialgeschichte und Frauenrechte sind zentrale Themen, die in ihren Arbeiten thematisiert werden. Diese Kunst stellt nicht nur die sozialen und politischen Realitäten Marokkos dar, sondern nimmt auch aktiv an der globalen Diskussion über diese Themen teil.
Frauen im Zentrum der zeitgenössischen Kunstszene
Ab den 2000er Jahren begannen immer mehr marokkanische Künstlerinnen, sich explizit mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinanderzusetzen und eine künstlerische Stimme zu erheben, die die Herausforderungen und Chancen des Frau-Seins in der marokkanischen und globalen Gesellschaft thematisierte. Künstlerinnen wie Lalla Essaydi, Bouchra Khalili, Rachida Aziz und Meriam Bennani haben diese Entwicklungen massgeblich geprägt und internationale Anerkennung erlangt.
Lalla Essaydi – Die Darstellung der Frau im islamischen Kontext
Lalla Essaydi ist eine bekannte zeitgenössische Künstlerin Marokkos, die sich intensiv mit der Darstellung von Frauen im islamischen und marokkanischen Kontext beschäftigt. In ihren Fotografien, in denen sie oft selbst als Modell auftritt, setzt sie Henna als Medium ein, um patriarchale Strukturen und die Selbstwahrnehmung von Frauen in Marokko zu thematisieren. Ihre Werke verbinden traditionelle Symbolik mit modernen Konzepten und reflektieren die komplexe Identität von Frauen in einer globalisierten Welt.
Bouchra Khalili – Migration, Identität und die Stimme der Frau
Bouchra Khalili ist eine international bekannte Künstlerin, die in ihren Videoarbeiten und Installationen Migration, Identität und die politische Situation von Frauen thematisiert. In ihrem Projekt „The Mapping Journey Project“ gibt sie Migrantinnen eine Stimme, um ihre Erfahrungen mit Migration und Flucht zu erzählen. Ihre Werke bieten eine kritische Perspektive auf westliche Sichtweisen und stellen die Verhältnisse von Macht und Geschlecht in den Fokus.
Chaibia Talal – Die feministische Vision der naiven Kunst
Chaibia Talal, eine der ersten Vertreterinnen der modernen marokkanischen Kunst, ist bekannt für ihren farbenfrohen, naiven Malstil. Ihre Werke kombinieren Symbolismus und feministische Themen, wobei die Frau oft im Mittelpunkt steht. Talal zeigte die Vielseitigkeit der Frauenrolle in Marokko und schuf ein neues, weibliches Narrativ, das traditionelle Darstellungen von Frauen als passive Figuren herausforderte. Ihre Gemälde zeigen oft starke, lebensfrohe Frauenfiguren in leuchtenden Farben und expressiven Formen. Dabei verbinden sich traditionelle marokkanische Muster mit einer modernen, symbolhaften Bildsprache. Frauen erscheinen in ihren Werken als Mütter, Arbeiterinnen oder Tänzerinnen – nicht als untergeordnete Wesen, sondern als aktive Gestalterinnen ihres Lebens.
Meriam Bennani – Eine junge Künstlerin zwischen Tradition und Moderne
Meriam Bennani, eine junge marokkanische Künstlerin, thematisiert in ihren humorvollen und ironischen Videoarbeiten den Konflikt zwischen traditionellen Erwartungen und der Selbstverwirklichung von Frauen. Sie untersucht die Auswirkungen globaler und lokaler Kulturen auf die Identität von Frauen in Marokko und hinterfragt klassische Narrative über Frauen.


Der Einfluss der Globalisierung und neuer Medien
Die oben genannten Künstlerinnen gehören einer Generation von marokkanischen Kunstschaffenden an, die von der zunehmenden Globalisierung und den neuen Medien geprägt sind. Durch die Nutzung von Fotografie, Video, Installationen und digitalen Medien haben sie eine internationale Kunstszene mitgeprägt, die sowohl Marokkos kulturelle Besonderheiten als auch globale Themen wie Migration, Identität und Geschlechtergerechtigkeit aufgreift.
Diese Künstlerinnen haben dazu beigetragen, Marokko als einen Ort zu etablieren, an dem nicht nur die Traditionen des Landes bewahrt werden, sondern auch eine neue, dynamische Kunstszene mit internationaler Bedeutung entsteht. Sie sind ein wichtiger Teil der Diskussion um das Frau-Sein im 21. Jahrhundert und eröffnen neue Räume für die weibliche Perspektive in der Kunst.
Marokkanische Kunst im Wandel: Ein einzigartiges Erbe mit Zukunft
Die marokkanische Kunst hat sich von ihren traditionellen Wurzeln zu einer der dynamischsten und innovativsten Kunstszene in Afrika entwickelt. Die Wechselwirkungen zwischen historischen Einflüssen, kolonialen Erbschaften und modernen Strömungen haben eine einzigartige Kunstlandschaft geschaffen, die heute international Beachtung findet. Von der traditionellen Kunst der islamischen und berberischen Kulturen über die kolonialen Einflüsse bis hin zur modernen und zeitgenössischen Kunst – Marokko hat eine facettenreiche und reiche Kunstgeschichte, die sich stetig weiterentwickelt und neue Wege geht.
Titelbild: Ch.A.Mangin, Tiznit Maroc.
Autor:in: Cécile Fuchs