Kurze Zusammenfassung
Alltägliches neu gesehen – Margot Ressel und ihre Stillleben
Margot Ressel ist eine zeitgenössische Künstlerin, die sich dem Stillleben verschrieben hat. Auf ihrer Leinwand landen alltägliche Objekte auf Tischoberflächen, genauso wie schöne Blumenarrangements. Und dann wieder überrascht sie mit Porträts einer wandelhaften, schönen Frau und sanft abstrahierten Landschaftsbildern, wobei sie die Gegenständlichkeit nie komplett verlässt. Das art24 Team hat die Schweizer Künstlerin in ihrem Atelier in Tuttwil und in ihrer Ausstellung in der Stadtgalerie Baliere in Frauenfeld, die im April 2025 stattgefunden hat, besucht. Dabei haben sich spannende Dialoge und Einsichten in ihre Arbeits- und Denkweise eröffnet. Erfahre in diesem Blog, wie Margot Ressel mit Farben, Licht und harmonischen Kompositionen Erinnerungen und Emotionen weckt.
Ein Spaziergang durch das Atelier
Die Sonne scheint und sanftes Frühlingserwachen liegt in der Luft, als das art24 Team auf dem Weg zu Margot Ressel ist, um sie in ihrem Atelier zu besuchen. In diesem intimen Raum offenbart sich uns nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihre ganz eigene Sicht auf die Welt. Wir sind gespannt darauf, welche Einblicke uns dort in ihr Schaffen und ihre Werke gewährt werden – insbesondere auf die «Harmonie der Farben», die sie stets als zentrales Element und tragende Säule ihrer Kunst hervorhebt.
Am Bahnhof begrüsst uns die Künstlerin und nimmt uns in ihrem Auto mit übers Land zu ihrem Atelier. Wir erreichen das alte Bauernhaus in Tuttwil, in dessen Dachstock sie sich eingerichtet hat. Nachdem wir eine enge Holztreppe hochsteigen, eröffnet sich eine riesige helle Raumfläche. Das Atelier breitet sich über den gesamten Dachboden aus. Die hohen Decken und die Fenster machen den Raum unerwartet hell und freundlich, während das Holz wieder eine intime, geborgene Atmosphäre ausstrahlt. Das helle Licht und die ersten Frühlingsfarben draussen in der Natur passen zur Stimmung im Atelier und den Werken, die wir nun zu sehen bekommen.
Überall stehen Kunstwerke von Margot Ressel an den Wänden. Durch all die visuellen Reize kommen wir leicht ins Gespräch und während wir durch das Atelier flanieren, eröffnen sich Dialoge über ihre Kunst: von den Anfängen, zu ihrer Technik, den Motiven, bis hin zu ihrer künstlerischen Entwicklung.

Als erstes fallen uns die Malutensilien in der Arbeitsecke auf: Eine Auswahl an Pinseln, Spachteln und Farben. An der Wand hängen mehrere Paletten aus Holz mit angetrockneten Farben. Das sei der Unterschied zwischen ihr und ihrem Vater, meint sie unseren Blicken folgend. Ihr Vater, Erhard Ressel, ebenfalls Künstler, war hauptberuflich als Restaurator bedeutender Kirchen und Gemälde in der Schweiz tätig. Während auf seiner Palette die Farbtöne in kleinen Klecksen vorsichtig und fein säuberlich hintereinander aufgetragen sind und nur wenig vermischt wurden, sind auf der Palette von Margot Ressel ungeordnete und wild vermengte Farbfelder zu sehen, die es aber dennoch schaffen, ein stimmiges, fröhliches Gefühl zu erzeugen. Ihr Vater hätte solch ein wildes Chaos nicht gerne gesehen. Und das meint sie, wen sie sagt, dass darin der Unterschied zwischen ihnen beiden bestehe. Doch das sei ihre Art gewesen, die streng vorgegebene Arbeitspraktik ihres Vaters zu durchbrechen, sich so von ihm zu lösen, um ihre eigene Arbeits- und Ausdrucksweise zu entdecken. Ihre künstlerische Sprache zu finden, war also als solches schon ein rebellischer Akt, denn sie tat dies in dem Bewusstsein, dass sie dennoch in seine Fussstapfen tritt.

Wir wandern weiter durch das Atelier und treffen auf ein Gemälde, auf dem ein schwarzer Bistrotisch abgebildet ist. Darauf stehen frische Blumen, ein grüner Siphon, eine giftgrüne Tasse und ein Wasserglas, in dem noch ein Schluck Wasser dümpelt, als wäre gerade eben noch jemand am Tisch gesessen. Daneben steht der nun leere Stuhl mit geflochtener Rückenlehne und einem gemusterten Textilkissen auf der Sitzfläche. Im Hintergrund sehen wir eine Hausfassade mit grüner Fensterlade, die uns vor einem Haus verortet. Am oberen Bildrand hängen grüne Blätter herunter, die einen danebenstehenden Baum andeuten, den wir nur erahnen können. Der Baum spendet dem Tisch Schatten, so dass gemütliche Stunden draussen verbracht werden können. Die Blätter werfen sanfte Schattenumrisse auf die weisse Fassade. Als Betrachter:in wird ein vergangener, warmen Sommertag aufgerufen, ein nostalgisches Gefühl wird wach. Die Erinnerung holt auch die damit verbundenen Gerüche wieder ins Bewusstsein. Doch nicht nur Gerüche werden plötzlich wieder lebendig. Man meint auch, sanftes Blätterrauschen zu vernehmen, das von einem warmen, leichten Wind ausgelöst wird. Und nun verstehen wir auch besser, was Margot Ressel meint, wenn sie davon spricht, dass sie nach der Harmonie der Farben sucht. In dieser Szenerie wird durch ein Zusammenspiel der Farben nach Licht und Stimmung gesucht, die Ruhe und Frieden auslösen. Ein bildliches Refugium, das sich auf die Gedanken überträgt.

Stillleben – Ein anpassungsfähiges Genre
Margot Ressels Stillleben sollen in Echt betrachtet werden. Denn erst dann erkennt man den Pinselduktus, die Strukturen und die Wirkung der Kolorierung. Auch die Dimensionen in Bezug zum eigenen Körper machen ihre Kunst erst vollkommen nachvollziehbar. Durch kräftige Farben wird nicht nur die eingefangene Lichtsituation in Ressels Kunst erlebbar, sondern all unsere sinnlichen Erfahrungen werden angesprochen. Ihre Werke lösen dadurch eine persönliche Verbringung aus. Das liegt aber nicht nur an den Farben, sondern auch an ihren Motiven, die uns so vertraut vorkommen. Die Suche nach der Harmonie in den Farben treibt sie an. Das Bild soll in sich stimmig sein, das bedeutet für sie aber nicht, dass die Farben nicht auch knallig sein dürfen, oder überraschen dürfen. Irgendwie schaffe sie es immer, ein stimmiges und passendes Gesamtbild zu erzeugen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer so scheint. Dies zeigt auch, dass das genaue Betrachten die Malerei sich uns neu erschliesst. Manchmal malt sie auch mit gleichen Farben in den verschiedenen Bildern, die aber jeweils eine andere Rolle einnehmen. Dabei haben auch die Formen einen Einfluss. Farben und Formen sind also nicht begrenzt in ihrer Aussagekraft, sondern wirken immer in Bezug zueinander.
In Ressels Arbeitsweise steckt auch ein spielerischer Umgang. Manchmal lässt sie Dinge weg, die aufmerksame Betrachter:innen bemerken. So etwa gewisse Schattenwürfe, die zu erwarten wären. Das mache ein authentisches Ressel-Gemälde aus. Sie tut dies einfach aus dem Grund, weil sie kann und weil gewisse Sachen in dem Moment wichtiger erscheinen als die akkurate Widergabe. Margot Ressel führt selten Kundenaufträge aus. Zwar gab es einige, die mit Erfolg abgeschlossen werden konnten, aber ihre Erfahrung ist, dass dies oft nicht umsetzbar ist. Denn wenn Kund:innen zu viel vorgeben, dann entstehe etwas ohne ihre Energie, ohne ihren eigenen Antrieb und das stimme für sie nicht.
Stillleben und Objekte aus der Natur sind wichtige Quelle der Inspiration für Margot Ressel. Manchmal greift sie auch umliegende Gegenstände auf, aber sie findet die klassischen Themen der Ölmalerei am spannendsten. Ab und zu malt sie auch Meereslandschaften. Der Blick aufs Meer und diese Ruhe aus ihrer Erinnerung widerzugeben, findet sie eine schöne Arbeit. Dennoch zieht es sie immer wieder zu den klassischen Sujets, die sie drapiert und in eine moderne Bildsprache übersetzt. Dieses Interesse hat seinen Ursprung aus dem Atelier ihres Vaters. Diese Liebe zum Gegenständlichen habe nie aufgehört. Obwohl viele Kunstschaffende mit der Zeit zur Abstraktion gelangen, war das bei Margot Ressel nie der Fall. Eher das Gegenteil. Das Interesse am Gegenständlichen hat sich verstärkt. Margot Ressel findet andere Wege, neues Terrain zu begehen. Als sie zum Beispiel die Pinsel ihres Vaters erbte, begann sie vor etwa zwei Jahren, mit ihnen zu arbeiten. Die Borsten seiner Pinsel waren ihr lange zu fein. Doch nun hat sie die Arbeit mit diesen entdeckt und damit auch eine neue Ausdrucksart für ihre gegenständliche Kunst. Auch die Hintergründe bearbeitet sie inzwischen anders als früher. Über die Grundfarbe wirft sie andere Farbtöne, um mehr Tiefe zu kreiere und eine Lebendigkeit einzuarbeiten, damit man diesen mehr Aufmerksamkeit schenkt. Zwar begann sie ihre künstlerische Laufbahn mit Mischtechniken auf Fotokarton, entdecke dann aber bald die Ölfarben als ihr bevorzugtes Medium – eine Technik, der sie bis heute treu geblieben ist. Die Ölfarben waren ihr nicht fremd, da sie diese bereits durch die Arbeit ihres Vaters kannte. Bis heute experimentiert sie mit ihnen und sucht stets nach neuen Ausdrucksformen. Die langsame Trocknung der Farben erfordert jedoch Geduld und erlaubt nur ein schrittweises Vorgehen.

Tischlandschaften der Gefühle – Von Blumen, Formen und Rückzug
Stillleben können beliebig zusammengesetzt und ausgelegt werden. Die Tische in ihren Bildern erfüllen dabei nicht nur die Funktion einer Ablagefläche für die gemalten Alltagsobjekte. Sie stellen Konnotationen zu einem gemütlichen Daheim her, zum Zusammenkommen und dem Gesellschaftlichen. Sie sind etwas Familiäres und Behütetes. Auch wenn die Tischform nicht immer akkurat ist, ist die Anlehnung stets da. Margot Ressel hat nebst der Harmonie in ihren Werken auch den Anspruch, dass ihre Kunst etwas Positives ausdrückt. Positive Gedanken finden wir meist in unserer vertrauten Umgebung, in Orten, in den wir uns zurückziehen können und sicher sein können. Nebst dem privaten Raum ist Margot Ressel auch von Blumen fasziniert. Insbesondere der Aspekt, dass man sie arrangieren kann, wie sie einem gefallen, findet sie interessant. Auch in ihrem eigenen Blumengarten, in dem viele Wildblumen zu finden sind und buntes, lebendiges Treiben herrscht, sucht sie oft nach schönen Formen und Farben. Blumen erlauben einen spielerischen Umgang, können neugestaltet und zusammengesetzt werden. Diese „Reise“ auf der Suche nach den richtigen Formen und Farbkombikationen bezeichnet sie als spannende Herausforderungen. Wie die widersprüchlichen Schattenwürfe, so sind auch die Blumen nicht naturgetreue Widergaben. Margot Ressel bedient sich zwar in der Natur, hat aber nicht den Anspruch, dass sie genau wiederzuerkennen sind. Dadurch eröffnen ihre Arbeiten auch etwas Rätselhaftes.

Auf unserem Streifzug durch das Atelier fällt uns auch auf, dass ihre wenigen Meereslandschaftsbilder im Vergleich zu den bunten Stillleben nachdenklicher wirken. Auf die Frage, wie sie diese melancholische Stimmung mit dem Anspruch an Positivität in ihren Bildern verbindet, antworte sie, dass Ruhe und Melancholie für sie nicht zwingend negativ sind. Denn auch sie tragen etwas Schönes in sich. Momente der Ruhe und des in sich gekehrt sein könne man auch selbst wählen und sich bewusst dazu entscheiden, sich auf diese einzulassen. Dies seien für sie Phasen des Rückzugs und der Regeneration, die sie nicht als etwas Düsteres empfinde, sondern als etwas Essenzielles für den Menschen und mit dem sie gut umgehen könne. In ihren Landschaften spiegelt sich diese stille, nach innen gewandte Stimmung wider – sie sind zurückhaltender im Ausdruck, geheimnisvoller und abstrahierter in der Form als die referenziellen Stillleben, die im Leben verankert scheinen.
Erinnerungen in Form und Farbe
An ihrer Ausstellung zeigte die Künstlerin nebst einigen älteren Werken vor allem aktuelle Arbeiten, die sie in den letzten zwei Jahren geschaffen hat. Diese Ausstellung war für Margot Ressel ein spannender Schritt, da sie das erste Mal in Frauenfeld ausgestellt hat und sich ihr dort auch ein ganz neues Publikum eröffnet hat. Der Dialog mit anderen Menschen durch ihre Kunst ist ein wichtiger Aspekt für Margot Ressel. Denn sie möchte Eindrücke und Gefühle auslösen, die auf den eigenen Erinnerungen basieren und wieder wachgerufen werden. Dies haben wir bei unserem Atelierbesuch und in der Ausstellung selbst erleben dürfen, denn die Objekte und die Stimmung in den Kunstwerken liessen auch bei uns Erinnerungen aufflimmern. Sei dies durch den grünen Siphon oder die Fensterläden, die uns an Sommertage im Süden denken lassen, oder durch die Blumen im Garten, die uns an die Kindheit erinnerten. Dabei müssen die Formen dieser Objekte nicht akkurat und realitätsgetreu wiedergegeben werden, meint Ressel. Denn die Eindrücke zählen. Für die Erinnerungen könne auch einfach ein bestimmter Farbton reichen. Man merkt also schnell, was Kunst in uns auslösen kann. Und obwohl die Bilder für sich reden, da sie gegenständlich sind, könne man durch jedes Bild in lange Gespräche eintauchen, sagt Ressel. So bringt also jeder Mensch seine eigenen Interpretationen, Wahrnehmungen und Gefühle in ein Werk.

Stillleben, Blumen- und Landschaftsbilder – Langweilig und unpolitisch?
Margot Ressel begegnet häufig Vorurteilen, wenn sie gefragt wird, welche Art von Kunst sie macht. Stillleben, Blumen- und Landschaftsmotive werden von manchen zunächst als uninteressant empfunden. Doch für Margot Ressel darf Kunst auch „einfach nur“ schön sein und auf einer ästhetischen Ebene berühren. Viele Besucherinnen und Besucher sind positiv überrascht, wenn sie ihre Arbeiten dann tatsächlich sehen. Kunst muss nicht immer politisch oder provozierend sein – sie darf auch durch ihre Schönheit wirken und Gedanken anstossen. Für Ressel ist entscheidend, dass ein Werk etwas auslöst, dass man sich davon angesprochen fühlt. Und manchmal, sagt sie, passiert auch einfach nichts – auch das sei in Ordnung.
Margot Ressel entzieht sich also dem Politischen, bietet dem Auge und der Seele etwas Ästhetisches und Entspanntes, einen Ruheort. Das Stillleben verortet sich auch in dieser Tradition des Genusses von Formen, Farben und Komposition und als Ort der Kontemplation. Kunst muss nicht immer eine Konfrontation sein, sie kann auch ein Ort der Erholung darstellen. Wird Margot Ressel indirekt also doch wieder politisch: Denn dem Entsagen, dem sich Erholen und Acht geben, wohnt auch etwas Rebellisches, Eigenes inne. Sich aus allem rausnehmen und für einen Moment Ruhe finden tut gut. Die Kunst halt sich bei Margot Ressel also losgelöst von modernen Tendenzen, zu erschrecken oder zu ergreifen. Die Objekte auf ihren Tischen verweisen auf unseren Alltag, sie sind greifbar und gleichzeitig betonen sie das, was wir präsentiert bekommen: Kunst – etwas Erschaffenes, Kreiertes. So, wie es gefällt. Und wie uns Margot Ressel auch anhand einiger Beispiele schildert, hat Kunst auch eine immense transformative Kraft. In ihren Kunstwerken liegt eine eigene Energie inne, die Einfluss auf unsere Umgebung, unseren Wohnraum, dem Wohlbefinden hat und der täglichen Haltung im Leben beeinflussen kann. So wird Margot Ressels Kunst zu einer sanften und zugleich kraftvollen Einladung, sich dem Schönen zuzuwenden – als bewusster Akt der Selbstfürsorge, des Rückzugs und des Genusses.
Die Künstlerin empfängt Interessierte gerne in ihrem Atelier, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Werke persönlich zu erleben.
Hier gehts zum art24 Profil von Margot Ressel.
Autor:in: Yvonne Roos